Faszien bilden ein Netzwerk aus Bindegewebe, das unseren Körper tief und weitreichend durchdringt. Im Gegensatz zu beispielsweise Knochen hat das Fasziennetz weder einen Anfang noch ein Ende. Das ganze Netz und sein Inhalt – Muskeln, Gefäße, Nerven, Lymphe, Organe, Knochen – sind ineinander verwoben. Würde man alle anderen Körpersysteme außer dem Fasziennetz entfernen, hätte man immer noch eine genaue Vorstellung über die Struktur, also der Form dieses Menschen. Alles in unserem Körper – von der Muskelfaser bis zu jedem Organ – ist von Faszien umhüllt. Sie gewähren Schutz, bilden die Form und sind eine dynamische Stütze. Außerdem dienen sie dem Stoffwechsel und als Transportmittel für Botenstoffe aller Art. Ausgestattet mit Rezeptoren liefern sie dem Nervensystem wichtige Informationen über die Eigenwahrnehmung, die wiederum vielfach die myofasziale Schmerzwahrnehmung hemmt.
Die Begründerin der Rolfing® Methode, Dr. Ida Rolf, beschäftigte sich bereits Mitte des vergangenen Jahrhunderts intensiv mit den Faszien und erkannte deren wichtige Rolle für Wohlbefinden und Gesundheit. Ihre bahnbrechende Entdeckung war, dass die Schwerkraft auf einen Menschen mit ausbalanciertem Fasziennetz aufrichtend wirkt. Mit ausbalancierten Faszien kann der Mensch die Schwerkraft nützen, um ein besseres Gleichgewicht zu finden, anstatt ständig mit Muskelkraft gegen die Schwerkraft anzukämpfen, um sich aufrecht zu halten.
Faszien sind ein sehr anpassungsfähiges Gewebe, das stark auf die Art und Weise der Beanspruchung reagiert. So führt Bewegungsarmut zu einer Art Verfilzung der Faszien, Überbeanspruchung zu hochgradigen Verspannungen und Mikrorissen. Durch beide Verhaltensweisen gehen Elastizität und Geschmeidigkeit verloren. Örtliche, ungesunde Spannungen lösen wiederum Kompensationen an anderen Körperstellen aus, die sich als z.B. Schmerz, Energielosigkeit und Bewegungseinschränkung zeigen können. Zu starke oder zu geringe Spannung im Muskelfasziennetz lässt Körperabschnitte unbeweglicher werden oder zusammensinken. Die dynamische Stütz- bzw. Spannkraft geht dabei verloren.
RolferInnen nützen die Plastizität der Faszien, um mittels ihrer speziellen, auf die Bedürfnisse und Rezeptoren der Faszien abgestimmte Berührung die Spannungsverhältnisse im faszialen Netz auszugleichen und zu optimieren. Gleichzeitig unterstützt der im Rolfing-Prozess erlernte, bewusste Einsatz des Gewichtssinns zukünftige, „fasziengerechte“ Bewegung und Aufrichtung.
In jüngster Zeit stehen Faszien im Mittelpunkt der medizinischen Forschung. Dies war nicht immer so. Wurden doch früher für anatomische Studien Faszien sorgfältig weggeschnitten, um den Blick auf Muskeln und Knochen frei zu machen. Dr. Rolfs Verständnis von Faszien war wegweisend für alle weiteren Entwicklungen von Rolfing und für die Sport- und Medizinwissenschaft. Sie bezeichnete Faszien als das „Organ der Form“ und ging schon in den 1970er Jahren davon aus, dass unser Körper über die Behandlung des Bindegewebes formbar ist. Allerdings fehlten ihr die technischen Möglichkeiten, um ihre Erfahrungen und Vermutungen wissenschaftlich zu untermauern. Dr. Robert Schleip, Rolfer der ersten Stunde, später auch Humanbiologe, war maßgeblich daran beteiligt, die Faszienforschung in der medizinischen Wissenschaft zu etablieren und voranzutreiben. In der Praxis als Rolfer hatte er die Veränderungen im Gewebe bei jeder Rolfing-Sitzung gespürt, doch wie und warum die Methode erfolgreich war, konnte er nicht ausreichend beantworten. Um diese Fragen im Detail zu erkunden, ging er selbst ins Forschungslabor. In seiner Doktorarbeit wies er 2007 mit dem Ulmer Forschungsteam die regelmäßige Besiedelung der Faszien mit kontraktilen Muskelzellen nach und erhielt dafür den Vladimir Janda Preis.
Diese nachgewiesene Faszienkontraktilität erklärt, warum sich durch Rolfing die Faszienspannung modulieren und ausbalancieren lässt.
Ebenfalls von Dr. Schleip und dem amerikanischen Rolfer Tom Findley initiiert, fand 2007 der Erste internationale Faszien-Forschungskongress an der Harvard Medical School in Boston statt. Um dem steigenden internationalen Interesse an Faszien und ihrer Bedeutung Rechnung zu tragen und den Wissenstransfer weiterhin zu fördern, fanden 2009, 2012 und 2015 weitere Faszien-Kongresse statt. Der nächste ist für 2018 in Berlin geplant. Das Besondere an den Faszienkongressen ist, dass der fachliche Austausch nicht nur unter WissenschafterInnen, sondern auch mit TherapeutInnen und KlinikerInnen stattfindet. So gewinnen Faszien und ihre Behandelbarkeit kontinuierlich an Bedeutung in einer ganzheitlichen Betrachtungsweise der menschlichen Gesundheit.